Sonntag, 18. Juni 2017

Als für einen Augenblick die Kreuze fielen

Gestern war ich auf dem Abiball meiner ehemaligen Klassenkameraden. Für wen sich das vielleicht komisch anhört: Im letzten Blogpost erzählte ich, dass ich noch mitten während der elften Klasse abging. Nun, jetzt möchte ich vom gestrigen Abend erzählen und was mir dabei durch den Kopf ging.

Das Erste, was mir schon wirklich Gänsehaut gab, war ein Moment während des Abendmahls. Nachdem ich fertig war, erhob ich kurz meinen Kopf, dachte nichts und hörte plötzlich all diese Menschen im großen Saal. Mit einem Schlag wurde mir klar, dass ich etwas verändern muss. Mir wurde klar, dass ich vorher nur die ganze Zeit auf den Boden oder an die Decke starrte, aber meine Augen sich niemals auf Augenhöhe wiederfanden. Mir wurde klar, dass ich nicht alleine an diesem Abend sein werde, da dort so viele Menschen sind, die ich kenne, aber auch nicht kenne und kennenlernen kann. Kennt ihr das Ende des Filmes/Manga "A Silent Voice"? Falls ja: Stellt euch vor, mir wäre das passiert. Da nahm ich mir für diesen Abend vor, nicht der verklemmte Typ zu sein, der ich sonst bin.

Das funktionierte sogar in der Nacht. Lange passierte irgendwie nichts. Mir war langweilig und ich lief hin und her. Dann saßen die Klassenkameraden, mit denen ich wohl am meisten Zeit in den letzten Jahren verbrachte, gemeinsam an einem Tisch und ich setzte mich dazu. Wir unterhielten uns ein wenig über Kleinigkeiten und die zwei Mädchen am Tisch gingen auf die Tanzfläche. Zwei Lieder lang überlegte ich, was ich nun tun würde. Spießig sitzen bleiben oder einfach mal Spaß haben? Mich einfach mal für einen Abend gehen lassen? Der Gedanke machte mich nervös. Würde es irgendwie komisch sein, wenn ich einfach auf die Tanzfläche gehe? Sehe ich dann seltsam aus, wenn ich tanze? Ich kann doch gar nicht tanzen! Anschließend schmiss ich meinen Hut auf den Tisch, sprang auf und ging einfach auf die Tanzfläche zu den beiden Mädchen. Ich fing an zu tanzen, meine Arme ein wenig zu bewegen, im Rhythmus hin und her zu, tja, gehen(?). Jedenfalls hatte ich Spaß dabei. Niemand fand's komisch. Höchstens lustig, weil ich wirklich für Stimmung sorgen wollte. Ein Freund, der noch am Tisch saß, traute sich gar nicht, mitzutanzen und ich wollte ihn dazu bringen. Ist mir später sogar gelungen. Ich trank sogar gemeinsam einen Schnaps mit meinen ... Freunden. Ich habe einfach mal den Kopf ausgemacht. Einfach mal die Sorgen vergessen. Mich einfach mal gehen lassen. Ich hatte sorgenlos Spaß für einen Abend. In der Retrospektive fühlt sich das irgendwie komisch an. Ich bin das nicht gewohnt, einfach mal meinen Kopf auszumachen. Das würde ich gerne öfter tun, aber in Zukunft wird es wohl kein Fest mehr geben, wo so viele Leute sind, die ich kenne.

Auf alle Fälle ist mir noch etwas klar geworden. Ein Thema, was hin und wieder auch mal von Klassenkameraden angesprochen wurde: Das war das letzte Mal, dass ich all diese Menschen sah. Und in Klassentreffen kommen ja bekanntlich nie alle zusammen. Wahrscheinlich war das nochmal ein Grund mehr, warum ich mich tatsächlich dazu überwand, mich gehen zu lassen. Das war das letzte Mal, dass ich so einen Spaß mit all diesen Menschen haben konnte. Die Menschen gehörten früher alle zu meinem Alltag und ich sah sie gerne. Seit einem Jahr aber hatte ich einen anderen Alltag als sie während meiner Ausbildung. Und jetzt wird sich auch für sie alles ändern. Jetzt wird mir klar, dass niemals etwas mehr so sein wird, wie es einmal war. Man kann die Vergangenheit nicht einfach wieder herbei wünschen. Das wäre auch Schwachsinn. "Es geht immer irgendwie weiter.", war ein Satz, den ich an diesem gestrigen Abend nicht nur einmal hörte. Sogar aus meinem eigenen Mund. Noch kurz bevor ich anfing, diesen Post hier zu schreiben, dachte ich darüber nach, dass ich, glaube ich, gerne einen Neustart hätte. Jetzt, wo sowieso nie mehr etwas sein wird, wie es einmal war, würde es mir vielleicht helfen, einfach nochmal wo anders von vorne anzufangen. Ich wünschte nur, das wäre so einfach. Einige haben mir bereits geschrieben, dass ich vielleicht umziehen sollte und ich sage euch: Ich würde das unheimlich gerne. Aber ohne Geld ist das nicht so einfach.

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